Anforderungen an Handschuhe zur Infektionsprophylaxe im Gesundheitswesen

  1. Einleitung
  2. Handschuhe haben im Gesundheitswesen eine Vielzahl von Anforderungen zu erfüllen. Neben dem Schutz vor Reinigungs- und Desinfektionsmitteln sowie Laborchemikalien sind medizinische Handschuhe zur Abwendung einer Infektionsgefährdung erforderlich, vor allem vor blutübertragbaren Infektionenskrankheiten wie Hepatitis B, Hepatitis C und HIV, aber auch Schmierinfektionen. Geschützt werden muß zum einen der Patient vor einer Erregerübertragung durch das Personal, zum anderen das Personal vor einer Übertragung durch den Patienten. Ein sicherer Handschuh ist im Rahmen der Maßnahmen der Infektionsprophylaxe für Patient und Personal von elemantarer Bedeutung. Deshalb muß der Anwender Kenntnis darüber haben, welche Leistungsmerkmale die unterschiedlichen Handschuhe und Materialen aufweisen. Handschuhe zum Schutz von Patient und Personal sind - im Gegensatz zu einfachen Schutzhandschuhen - Medizinprodukte.

    Die höchsten qualitativen Ansprüche werden an medizinische Handschuhe gestellt, da sie als effektive mikrobiologische Barriere auch einer mechanischen bzw. chemischen Belastung standhalten müssen.

    Bei medizinischen Handschuhen werden OP-Handschuhe und Untersuchungshandschuhe unterschieden.

  3. Materialien

Über 90 % der heute eingesetzten Handschuhe werden aus Naturlatex gefertigt. Latex bietet eine sichere Keimbarriere, extrem hohe Reißfestigkeit, hohe Elastizität und Flexibilität, gute Beständigkeit gegenüber Körperflüssigkeiten, gute Sterilisierbarkeit, gute Paßform und damit einen angenehmen Tragekomfort. Naturlatexhandschuhe lassen sich kostengünstig herstellen und sind ökologisch verträglich. Sie werden aus einem kautschukartigen Milchsaft hergestellt, der ca. 60 % wäßrige Anteile, 30 - 40 % reine Kautschukanteile und 5 - 8 % Nichtkautschuk-Bestandteile hat. Die Nichtkautschuk-Anteile bestehen insbesondere aus über 250 verschiedenen Proteinen sowie Lipiden, Kohlenhydraten, Mineralien, Nukleinsäuren und Harzen. Allerdings haben sich von den Latexproteinen nach neuester medizinischer Forschung einige als hochpotente Allergene herausgestellt.
Während der Produktion eines Latexhandschuhs werden dem Material eine Vielzahl von Stoffen z. B. zur Dispergierung, Emulgierung, Stabilisierung, Konservierung, Vulkanisierung und Vulkanisierungsbeschleunigung zugesetzt.

Bezüglich der chemischen Bestständigkeit von Latexhandschuhen besteht eine gute Verträglichkeit gegenüber alkoholischen, aldehydhaltigen sowie salzhaltigen Lösungen (Ringerlösung). Organische Lösungsmittel, Petrolether, pflanzliche, tierische und mineralische Fette sowie Öle wie Vaseline, Paraffinöl schädigen die Latexmembran als sichere Keimbarriere. Hautschutzprodukte müssen deshalb vor dem Anziehen eines Latexhandschuhs gründlich entfernt werden.
Auch beim Arbeiten mit bestimmten Zytostatika und beim Einsetzen von Endoprothesen mit Polymethylmetacrylat-Copolymere (PMMA-bone cement) wird die Schutzfunktion der Latexhandschuhe zerstört. Deshalb ist nach jedem Kontakt mit bone cement ein Handschuhwechsel erforderlich.
Die überwiegend positiven Eigenschaften machen den Latexhandschuh zu einem exzellenten Untersuchungs- und OP-Handschuh, der, von Ausnahmen abgesehen, eine gute Hautverträglichkeit aufweist.

Vinylhandschuhe sind aufgrund der niedrigen Dehn- und Reißfestigkeit für den medizinischen Einsatz weniger gut geeignet, da sie nur eine bedingt sichere Keimbarrier darstellen. Hautunverträglichkeiten wurden bisher nicht festgestellt. Gegenüber verdünnten anorganischen Säuren, Aldehyden, Hypochloriden, jodhaltigen wäßrigen Lösungen und Xylol sind sie beständiger als als Latex. Nicht zu empfehlen ist der Einsatz bei alkoholischen Lösungsmitteln, Heptan, Pentan, Terpentin und Benzol. Die Herstellung und Entsorgung von PVC-Handschuhen ist aus ökologischer Sicht kritisch zu betrachten.

PE wird für die Herstellung von Untersuchungshandschuhen eingesetzt und ist hervorragend hautverträglich. Die geringe Dehn- und Reißfestigkeit sowie schlechtere Paßform gegenüber Latexhandschuhen haben den Einsatz von PE-Handschuhen begrenzt.
Dagegen biete PE-Handschuhe als Unterziehhandschuh beim Arbeiten mit PMMAund Zytostatika einen ausgezeichneten Schutz. Ebenso haben sie eine hohe Stabilität gegenüber alkoholischen Lösungen, Aldehyden, Ketonen, Hypochloriden, Säuren, ammoniakhaltigen Lösungen und Salzlösungen. Nicht angewendet werden sollten PE-Handschuhe beim Umgang mit organischen Lösungsmitteln (Pentan, Terpentin, Petrolether). Die Umweltverträglichkeit von PE ist gut, bei der Verbrennung entstehen keine umweltgefährdenden Stoffe.

SL besteht aus einer Reihe unterschiedlicher Materialien wie z. B. Nitrilkautschuk (NBR), Butylkautschuk (Isopren), Chloroprenkautschuk (Neopren) sowie Polystyrol-Ethylen-Butylen-Blockpolymere und wird bei der Herstellung von Untersuchungs- und OP-Handschuhen verwendet.
SL-Handschuhe haben eine niedrigere Dehn- und Reißfestigkeit als Latexhandschuhe. Auch SL ist nicht geeingnet im Umgang mit PMMA und Zytostatika. Dagegen können Handschuhe aus Polystyrol-Ethylen-Butylen-Blockpolymer bei der Zubereitung von Zytostatika eingesetzt werden. Generell besteht eine gute Eignung für Arbeiten mit wäßrigen Salzlösungen, Aldehyden, Ölen, Fetten, Säuren und Laugen.
Die Hautverträglichkeit ist gut, in bezug auf die Umweltverträglichkeit sind diese Prokukte jedoch differenziert zu bewerten.

Verschiedene weitere Spezialhandschuhe werden sehr selten eingesetzt, so daß nicht näher darauf eingegangen werden muß.

  1. Herstellungsverfahren
  2. Grundsätzlich muß zwischen gepuderten und ungepuderten Handschuhen unterschieden werden. Der Puder - heute werden ausschließlich resorbierbare Puder eingesetzt - dient hauptsächlich dazu, als sogenanntes Formentrennmittel bei der Herstellung von Handschuhen im Tauchverfahren ein Verkleben mit der Handschuhform zu verhindern. Auch bei ungepuderten Handschuhen befindet sich deshalb Puder auf der Außenseite des Handschuhs. Um ein Verkleben des Handschuhs auf der Innenseite zu verhindern und das Anziehen zu erleichtern, werden die Handschuhe entweder innen gepudert oder es muß eine spezielle Oberflächenbehandlung durchgeführt werden.
    Bei der Herstellung puderfreier Handschuhe wird mit wenigen Ausnahmen das Chlorinationsverfahren eingesetzt. Der Handschuh wird noch auf der Handschuform wenige Minuten in eine Chlorlösung getaucht, wodurch die Oberfläche des Handschuhs verändert wird. Das Chlor wird anschließend durch eine Ammoniak-Lösung neutralisiert, das dabei entstehende Ammoniumchlorid gründlich ausgewaschen.

    Das FDA hat mit einer Studie (Medical Glove Report, 9/1997) darauf hingewiesen, daß bei der Chlorinierung mehrere kritische Parameter zu beachten sind, weil sonst die Handschuhmembran geschädigt werden kann und damit eine sichere Keimbarriere in Frage gestellt wird. Neben den festgestellten mechanischen und physikalischen Nachteilen unterliegen chlorinierte Handschuhe einer schnelleren Alterung als gepuderte Handschuhe. Da auch bei beschichteten Handschuhen eine schnellere Alterung festgestellt wurde, müssen durch umfassende Inprozeßkontrollen mangelhafte Qualitäten ausgeschlossen werden.

  3. Allergierelevante Faktoren
  4. Beim Kontakt mit latexhaltigen Materialen (ganz besonders beim Tragen eines Latexhandschuhs) können zwei unterschiedliche Allergietypen auftreten. Die sogenannte Spättyp-Allergie (Typ-IV-Allergie) wird in der Regel durch die Zusatzstoffe, insbesondere Akzeleratoren und Antioxidantien wie Thiurame, Carbamate und Benzothiazole ausgelöst. Seitdem Thiurame als Auslöser der Typ-IV-Allergie erkannt sind, werden sie in der Handschuhproduktion nur noch vereinzelt eingesetzt, so daß die Zahl dieser Allergien rückläufig ist. Bei PVC- und PE-Handschuhen wurden bisher nur selten Allergien beobachtet.
    Mit Zunahme des Verbrauchs an Latexhandschuhen steigt seit Mitte der Achtziger Jahre die Inzidenz von Soforttyp-Allergien (Typ-I-Allergie), der sogenannten Latexallergie. Nach dem heutigen Kenntnisstand steigt das Allergierisiko mit zunehmender Proteinkonzentration im Handschuh. Aufgenommen werden die Latexproteine über Haut und Atemwege. Den gepuderten Latexhandschuhen kommt eine besondere Bedeutung zu, weil sie zum einen häufig eine deutlich höhere produktionsbedingte Konzentration an Proteinen enthalten und zum anderen sich die freien Proteine an dem eigentlich inerten Maisstärkepuder anlagern. Beim An- und Ausziehen der Handschuhe wird der Puder, befrachtet mit den Latexproteinen, aufgewirbelt und gelangt so auf aerogenem Wege auf die Binde- oder Schleimhäute der Atemwege. Andererseits führen lange Kontaktzeiten beim Tragen der Latexhandschuhe mit Flüssigkeitsbildung und Aufweichen der Haut zu Irritationen, die die Schutzbarriere zerstören und somit das Eindringen der Allergene erleichtern. Der Mechanismus bei gepuderten Handschuhen wird dadurch noch verstärkt, daß durch den Puder in dem Feuchtigkeitsfilm auf der Haut ein alkalisches Millieu erzeugt und dadurch die Irritation verstärkt werden kann. Dem mit den allergieauslösenden Latexproteinen befrachteten Puder kommt bei der Entstehung der Soforttyp-Allergie sowohl über Hautkontakt als auch auf aerogenem Wege ebenfalls eine Bedeutung zu.
    Auch bei den Patienten nimmt durch zunehmende und häufig nicht bekannte Sensibilisierung die Gefahr von Latexallergien zu. Meldungen über lebensbedrohliche anaphylaktische Reaktionen bei Notfalleinsätzen oder Narkoseeinleitungen häufen sich. Gefährdet sind hier besonders Personen mit häufigem Latexkontakt, Atopiker, besonders wenn Manifestationen wie Neurodermitis, Heuschnupfen oder Asthma bereits existieren, Personen mit Handekzemen, mit Spina bifida oder ganz besonders nach Mehrfachoperationen. Wer auf Früchte wie Bananen, Kiwis, Walnüsse, Aprikosen oder Pfirsische allergisch reagiert, kann auch auf Latexproteine reagieren (Kreuzallergie). Aus all diesen aufgeführten Gründen stellen Kliniken ihre Produkte, die auf Intensivstationen, Notfalleinheiten bei der Anästhesie und für Operationen benötigt werden, vermehrt auf naturlatexfreie Materialien um.
    Eine ganz entscheidende Rolle spielt bei medizinischen Handschuhen die gute Hautverträglichkeit. Das häufige Waschen und Desinfizieren der Hände, die lange Tragedauer, der Okklusionseffekt, aber auch teilweise die Materialien können zu einer Hautirritation führen. Bei über 50 % aller Hautprobleme handelt es sich um reine Hautirritationen. Eine gute und konsequente Hautpflege ist die wichtige Grundvoraussetzung, um die Haut zu schützen. Die Hautpflege darf nicht direkt vor dem Anziehen des Handschuhs erfolgen, weil die fetthaltigen Pflegeprodukte die Handschuhmembran schädigen und damit eine sichere Keimbarriere in Frage stellen können. Ein umfassender Hautschutz kann Hautirritationen und damit die Gefahr einer Allergie wirksam reduzieren.

  5. Schutzvorschriften
  6. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung als in Deutschland für den Arbeitsschutz zuständiger Verordnungsgeber hat auf diese Erkenntnisse bereits reagiert und eine technische Regel für Gefahrstoffe über sensibilisierende Stoffe (TRGS 540) im Dezember 1997 bekanntgegeben. Grundlage für diese technische Regel ist die Gefahrstoffverordnung. Die TRGS gibt den Stand der sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und arbeitswissenschaftlichen Anforderungen beim Umgang mit sensibilisierenden Stoffen wieder.
    Unter Ziffer 3.1 (Ersatzstoffe), Abs. 4 wird gefordet, daß gepuderte Latexhandschuhe durch puderfreie, allergenarme Latexhandschuhe oder andere geeignete Handschuhe zu ersetzten sind. Weiter heißt es unter Ziffer 4.4 (persönliche Schutzausrüstungen) im Abs. 2 "... Latexhandschuhe müssen puderfrei und allergenarm sein...".
    Diese Regel, fußend auf der Gefahrstoffverordnung, verbietet eindeutig die Verwendung von puderhaltigen Naturlatexhandschuhen als persönliche Schutzausrüstung. Der Unternehmer darf von dieser Regel nur abweichen, wenn er das Schutzziel auch auf andere Weise erreichen kann. Setzt er sich über die Anforderungen der Regel hinweg und veranlaßt seine Mitarbeiter, weiter gepuderte Naturlatxhandschuhe zu tragen, muß er damit rechnen, zu Regreßansprüchen von seiten der gesetzlichen Unfallversicherungen herangezogen zu werden, wenn sich herausstellt, daß ein Versicherter eine Latexallergie durch das Tragen gepuderter Schutzhandschuhe erworben hat.
    Die TRGS bezieht sich allerdings ausschließlich auf Schutzhandschuhe zum Schutz des Tragenden. Medizinische Handschuhe zum Schutz auch des Patienten oder Dritter werden von dieser Regelung nicht berührt.

  7. Europäische Standards für medizinische Handschuhe

Um ausreichend Infektionsschutz zu gewährleisten, müssen alle medizinischen Einmalhandschuhe die Anforderungen der europäischen Norm DIN EN 455 erfüllen. In dieser Norm wird für die Dichtigkeit ein sogenannter "Accepted Quality Level" (AQL)als Bemessungsmaßstab angegeben. Um einen ausreichenden Infektionsschutz zu gewährleisten muß dieser AQL <1,5 sein.>
Im Hinblick auf die biologische Verträglichkeit sollen in die künftige Norm (prEN DIN 455-3) folgende Punkte aufgenommen werden:
Der Anteil wasserlöslicher Proteine soll auf ein Minimum reduziert werden. Nach heutigem Stand des Wissens ist ein Schwellenwert für eine Sensibilisierung nicht bekannt, demzufolge kann kein Grenzwert festgeschrieben werden. Die Überwachung des Proteingehalts soll während der Produktion über die Modified Lowry Methode erfolgen.

Die führenden Handschuhersteller haben analog zur Forderung der Norm den Anteil der wasserlöslichen Proteine drastisch reduziert. Ebenso enthalten die meisten Handschuhe keine Thiurame mehr. Leider fehlen zum heutigen Zeitpunkt wissenschaftlich fundierte Studien, die mehr Einblick in die gesamten Einflußfaktoren und deren Bewertung ermöglichen. Die uns bisher zur Verfügung stehenden Studien erlauben keinen Rückschluß auf die Wirkungsmechanismen, insbesondere weil sie mit Handschuhen durchgeführt wurden, die ein hohes allergenes Potential aufwiesen.

  1. Forderungen

Nach den heutigen Erkenntnissen von Wissenschaft und Technik müssen folgende Forderungen an Handschuhe zur Infektionsprophylaxe gestellt werden:

  1. Ausblick

Die kontroversen Diskussionen zum Thema Handschuhallergien dürfen nicht zu Lasten der Sicherheit für Anwender und Patient gehen. Naturlatexhandschuhe bieten zum jetzigen Zeitpunkt noch immer die höchste Sicherheit alss effektive Keimbarriere. Alternative Materialien erreichen nicht den gleichen Qualitätsstandard bei der mechanischen und physikalischen Belastbarkeit.
Die gängigen Herstellungsverfahren puderfreier Latexhandschuhe können eine Einbuße in bezug auf eine sichere Keimbarriere der Handschuhe verursachen. Eine Optimierung der biologischen Verträglichkeit im Rahmen der alternativen Herstellungsverfahren kann aktuell nich nicht bewertet werden, da aufgrund der verbleibenden Chemikalienrückstände zusätzlich Hautirritationen ausgelöst werden können (FDA, Medical Glove Report, 9/1997).



 

Textfassung vom: Februar 1998
awmf@uni-duesseldorf.de
HTML-Code optimiert: 15. 02. 2000